12. August 1926, Lager 1 bei Barra Santa Rosa
Noch einige Zeilen geschwind für die Menschenwelt, während die Bootsleute schon warten.
Ein klarer Himmel spannte ich über die Weite, Wind von Nord und keine Besorgnis vor Regen für die nächsten Tage.
Ein Schluck klares Quellwasser bei Clemens, Abschied, dann
zum Boot. Das Gepäck ist bereits gut verstaut und meine beiden Bootsführer
warten. José gilt als der beste Pilot am Fluß. Joao Covinna ist auch ein
erfahrener Kanuschiffer muß aber vor Alkohol gehütet werden sonst wird die
Sache gefährlich.
Um 11 h 40 stoßen wir ab und lassen uns vom Strom treiben.
Clemens gab mir das letzte Geleit und winkte, während Fips der Hund ein
heiseres, sehnsüchtiges Bellen hören ließ.
Breit und ruhig im Sonnenlicht blinkert zog der Strom mit uns dahin. Stiller ruhiger Wald begleitet uns hinter dem sich noch der freie Camp erstreckt.
Ich arbeite mit Uhr und Kompass und zeichne den Strom.
Gegen 2 Uhr dröhnt es fern im Tal wie dauernder dumpfer
Donner. Der erste Wasserfall, Salto Pelluda.
Mit fabelhafter Geschicklichkeit erreichen wir kurz oberhalb
des Falles das westl. Ufer und machen fest.
Das Boot wird ausgeladen und die Sachen mühsam bis unterhalb
des Falles durch den Uferwald transportiert werden.
Als ich dann das mühsame Ringen meiner beiden Piloten
photographieren wollte, wie sie eben das Boot über den Salto zu Tal ließen,
stürze ich in ein Loch zwischen die harten Diabasse und schlug mir die ersten
blauen Flecke.
Nach einer Stunde Arbeit war der Salto überwunden und wir
saßen im Boot und den zweiten Wasserfall 500 m unterhalb zu überwinden.
Wiederum das mühsame Ausladen des Gepäcks, das Schleppen
durch den Wald. José schlägt mit seinem Facon den Weg.
Dieser Salto machte uns viel Arbeit und Jose wäre fast
verunglückt. Wir brauchten fast 3 Stunden um das Boot den Wasserfall herab zu
bringen.
[Eingefügt: die Stufen in beiden Fällen sind wohl nur 5 m
hoch, das Wasser aber von ganz hoher Gewalt]
Dann steuerten wir auf eine Insel in der Strommitte
unterhalb des Falles zu und schlugen dort unser Zelt auf.
Ein wundervolles Licht fällt in das Flußtal. – Der Fall
dröhnt und braust und erfüllt die Talwelt und den dunklen Wald mit seltsamen
Lauten. Und doch dieser Friede. So fern allem Getriebe der Welt.
Ein Vöglein zwitschert direkt neben mir und übertönt das
Rauschen des Wassers.
José und Joao sitzen am Feuer und plaudern u. kochen.
Währenddessen mache ich mich fertig um ein kühles Bad
während des letzten Sonnenlichts zu nehmen.
Nun liegt die Nacht über dem Strom mit Neumondsichel und
wundervollen Sternen. Es dröhnt immerfort weiter und der Fall liegt wie ein
schwach leuchtender Streifen vor dem schwarzen Waldhintergrund.
Wir saßen am Feuer, und ich hörte seltsame Geschichten von
den Menschen u. den Tieren im Wald.
Joao erzählt von einem seltenen, großen Tier, das oberhalb
des Falles lebt. Viele Menschen haben das Tier schon gesehen, wenn es das
Wasser der Oberfläche peitschte. Niemand kennt das Tier. Alle aber haben
Furcht. Es ist ganz schwarz, Senhor, versicherten José und Joao Covinna, und
länger als unser Kanu.
José will mir ein solches Tier am Salto Mana zeigen, wo er
und seine Schwester es gesehen haben – und es war lang wie eine „Pinheiro
barbaridade.“
Seltsam, seltsam, diese Wald- und Stromwelt, aber ich freue
mich über die Geister und Ungeheuer, die ihr Wesen treiben bei Nacht über dem
Strom. So ist die Welt hier doch nicht ganz leer und der Wald lügt, wenn er so schweigend, so düster steht im abendlichen Dämmerlicht.
José und Joao schlafen ein und mögen wohl weiter von den
Ungeheuern träumen. Ich aber sitze einsam am Feuer und lausche dem Brausen des
Stromes und den spärlichen Tierlauten. Es ist so groß, so feierlich. Ein Hauch
der grenzenlosen Einsamkeit, die uns in den Wäldern stromab erwartet, dringt
bis hier.
13. August 1926
Dichter Nebel über der weiten Tallandschaft. Aus dem grauen
Einerlei tönt das ewige Brausen irgendwo her. Die ganze Nacht war das Getöse um
uns, aber seltsam es war wie ein Schlaflied der Natur.
Man träumt noch eine Zeit mit diesem monotonen Lied und
unmerklich hat uns die Natur in Schlummer gesungen.
Der Nebel zwingt uns, zu warten und mit einer Frühfahrt ist
es nichts.
Die Gefahren sind zu groß, auf diesem Fluß.
Gegen acht Uhr sieht man die Sonne als blasse weiße Scheibe
stehen, aber auf 10 m Entfernung sind die nächsten Bäume schon schemenhafte
Silhouetten.
Draußen tropft es von Blättern und Gräsern aber im Zelt ist
es angenehm trocken.
Unsere kleine Insel besteht wie die Mauern der Fälle
oberhalb aus Diabasen die in schwarzgrünen oder rostbraunen Blöcken
umherliegen. Die Steine füllen eine Spalte aus, die 320 ° M. N. streicht. Diesen Aufschluß hätte ich zu Land
nie bekommen. Ich hatte bei meinen früheren Aufnahmen dort wohl an zwei Stellen
dieses Eruptivgestein gefunden, doch nie in dieser Ausdehnung erwartet.
Um 8 ½ Uhr nimmt Joao das Gewehr und besteigt mit José das
Kanu. Nach wenig Ruderschlägen sind sie im Nebel verschwunden und ich bin ganz
allein. Ob sie jagen wollen?
Eben kommt José zurück und meldet, daß sie einen andern Mannholen wollen der die beiden Wasserfälle weiter oberhalb an der Barra de
Conceicao kennt. Ihnen selbst ist es zu gewagt allein zu fahren, da sie dieses
Stromstück nicht genug kennen.
So hocke ich denn am Feuer nieder, döse in die Glut hinein
oder lausche dem Brausen hinter dem Nebel.
Gegen Mittag
Die Sonne brennt ins
Tal, helles Licht flimmert über dem Strom und ein klarblauer Himmel spannt sich
über die Welt.
Nur José kehrte auf einen Augenblick zurück, dem das Warten
auf Joao am jenseitigen Ufer zu lang wurde. Er hatte im Uferwald die Ruinen der
großen Maschinen des alten engl. Goldkamp bei Sarras gefunden und holte mich
dorthin.
Es war mir seltsam zu Mute, als ich mitten in wucherndem
Dickicht die mächtigen Eisenrohre der Pumpanlage, den großen Motor, die
gewaltige Pumpe auf verfallenem Fundament, verrostet da liegen sah.
Vergänglichkeit allen Menschenwerkes. Hier hat der Wald
wieder gesiegt.
Wir haben das Zelt bereits abgebrochen und alles gut gepackt
und nun warte ich auf die Rückkehr Joao Covinnas. Inzwischen fallen Insekten
über mich her, ekelhafte Blutsauger und zerstechen jedes Stückchen Haut. Von 8° Celsius heute früh ist die Temperatur bereits auf 25 ° Wärme gestiegen.
Das Wasser der Stromschnellen blitzt und blinkert. Es braust
ununterbrochen. Zeit und Stimmung genug zum Träumen.
13. August 1926, Ilha da Margarida, 8 Uhr Abends
Joao kam gegen 12 h und stank auf 10 m nach Schnaps.
Sichtlich war er bemüht seinen Zustand vor mir zu verbergen, da ihm Acht u.
Bann für diesen Fall angedroht war.
Und ich tat, als ob ich nichts merkte, um das gute
Einvernehmen für die Dauer der Reise nicht zu stören.
Er brachte einen Sack Apfelsinen und die Nachricht, ein
anderer Pilot würde uns oberhalb des großen Salto erwarten.
Wir packten das Kanoa und zogen den lichtflimmernden Strom
weiter abwärts, zwischen dunklen Waldkulissen, steilen Felswänden oder lichten
Araucarien Wäldern hindurch.
Heute war der Tag mühselig, bereits nach 15 Minuten Fahrt
hatten wir die erste Stromschnelle zu passieren. Aber bis zum Saltinho Paulino
Baptista. den wir um 2 Uhr mittags erreichten, brauchten wir das Boot nicht zu
verlassen. Die Geschicklichkeit meiner Bootsleute überwandt alle rasenden
Wassermassen.
Mit dem Saltinho Paulino begann aber alle Mühsal dieser
Stromfahrt mit einemmal und unvermittelt. Stromschnelle folgte auf
Stromschnelle. Alle 10 Minuten mußten wir das Boot verlassen und 4 mal ganz
entladen und das Gepäck auf schwierigen Wegen durch den dichten Urwald des
Ostufers transportieren. Jedesmal wurde erst ein Weg mit dem Buschmesser
geschlagen.
Ich hatte mich am Morgen bereits ganz leicht gekleidet,
sodaß ich stets mit ins Wasser springen konnte, wenn es not tat. Alle Saltos
werden durch die N. W. streichenden Diabasgänge gebildet während die harten
Sandsteine häufig die langen Stromschnellen bildeten. Um 4 Uhr Nachmittags
teilte sich der Fluß um eine Anzahl großer bewaldeter Inseln.
Wir nahmen den schmalen malerischen Ostarm.
Viel Freude hatten wir an all der Schönheit ringsum nicht.
Denn an jeder Cachoeira mußte das Boot entladen werden.
Erst um 5 Uhr konnten wir auf einem Sandsteinriff inmitten
brausender Schnellen einen Imbiss zu uns nehmen.
Dann mußten wir weiter, um das Nachtlager zu suchen, den
Salto Grande konnten wir nicht mehr überwinden, da der neue Führer nicht am verabredeten
Platz wartete.
So machten wir denn am Ende der großen Insel [Seitlich
eingefügt: die ich Margareten Insel nannte], wo der Strom sich verengte, auf
einer kleinen Felsinsel mit Sand und Busch Halt und schlugen das Zelt auf.
Bald stellten sich Moscitoschwärme ein und nötigten uns
Rauch und Feuer zu verbreiten. Wie froh bin ich nun, daß ich mein Moscitonetz
bei mir habe.
Auf dem heutigen Stromstück sahen wir viel Wasserwild.
Hühner und das Capivara. Auch auf unserer Lagerinsel sind unzählige Spuren von
Wildschweinen, Hirschen und wilden Hunden (Cadorro do Matto).
Nun braust wiederum das Getöse einer Stromschnelle vor uns.
Wieder ist es Nacht über den düsteren Waldkulissen u. Sterne flimmern über dem
Tal. Nur die weiße Gischt des Wassers leuchtet gespenstisch durch das Dunkel
und ganz nah stehen bizarr und reglos die schwarzen Silhouetten zernagter
Sandsteinfelsen.
14. August 1926, Lager unterhalb Margareten-Insel, früh
Nachts rufen Capivaras im Fluß. Davon erwachten wir noch in
der Frühe. Wieder lag der Nebel dick und schwer im Flußtal und wir hockten bis
9 Uhr um unser Feuer, ehe es hell wurde. Dann aber siegte wieder die Sonne. Eh
noch der Nebel stieg, nahm Covinna die Büchse und ging über die Klippen talab.
José und ich packten die Sachen und brachen das Zelt ab.
Dann führten wir das Kanu durch die Cachoeiren nach dem Nordende der Felsbank,
die uns Lager für die Nacht war. Als Joao Cor. zurückkam, brachte er die
überraschende Nachricht, das stromab nur noch eine kleine Cachoeira sei und der
Salto grande bereits hinter uns lag. Wir hatten ihn also in den vielen
Cachoeiren im Ostarm des Flusses gestern Nachmittag überwunden. Nun lausche ich
um so lieber dem Brausen hinter uns.
Seltsam ist die Ruhe im Flußtal, wenn man von Dröhnen der
Saltos und Cachoeiren absieht. Nur hier und da ein Vogellaut. Es ist seltsam
geheimnisvoll zwischen all diesen Waldkulisssen u. Felsen.
Mir bekommt diese wundervolle Fahrt mit all ihren Mühsalen
und Insekten ganz außerordentlich gut. Dieses seltsam primitive Leben im Kanu
und im Wasser bei Tag und am Feuer und im Zelt bei Nacht hat etwas ungemein
reizvolles.
Der Blick von unserem Lager stromauf ist erhaben schön.
Inseln und schweigende Waldkulissen schieben sich in ewigem Farbenwechsel
hintereinander und aus tausend Lücken in diesem grünen Gewirr bricht der Tibagy
in schäumenden Cachoeiren hervor. Auf den Höhen wird der Wald ringsum von der
schönen, schlanken Coco romanzoffiana und der Auraucarien überragt.
José und Joao verstauen nun das Gepäck im Boot und gleich
geht es weiter stromab bei unendlich mildem schönen Sonnenlicht.
Die Sandsteine am Lagerplatz sind seltsam gestaucht und
hochgepresst. Es muß eine gewaltsame seitliche Zusammenschichtung und
Aufwölbung stattgefunden haben. Ich fand auch Granit und konnte Proben
abschlagen. Aber in welcher Beziehung dieser Granit zu den Störungen des
Sandsteins steht, konnte ich nicht feststellen.
Diabase streichen in Gängen wie gestern mit 320 ° M. V.
durch die Landschaft. Eine Unzahl von Saugschwärmen zeigt sich in der Tibagy
Landschaft.
14. Augsut 1926, Salto Grande, 12 Uhr Mittags
Wir haben uns gründlich getäuscht in der Annahme, den Salto
grande bereits passiert zu haben. Kaum 2 km hatten wir mühsam zurückgelegt, da
tönte ein mächtiges Dröhnen an unser Ohr.
Wir gingen vorsichtshalber an Land und kletterten über die
bizarren harten Sandsteinriffe ein Stück stromab, als unser Blick durch ein
herrliches Naturschauspiel gefesselt wurde. Zwischen dunklen Felsmassen stürzte
dröhnend der weiße Tibagy
in die Tiefe.
Tief unten, ein Stück stromab, sah man wieder den Fluß ruhig
in eine Pforte einbiegen.
Wir brachten das Boot kurz oberhalb des Falles an die Felsen
des östl. Ufers und luden das Gepäck aus.
Unser erster Erkundungsgang zeigte uns jedoch schon, daß wir
nicht im Stande sein würden, unser Boot zu Tal zu bringen.
Wir haben einen einfachen Einbaum, wie er am Tibagy üblich
ist, jedoch aus schwerem Pinienholz. Ein Kanu aus dem leichten Cedernholz war
leider nicht aufzutreiben gewesen. Ein solches, soll mir erst von Campinas ab
zur Verfügung stehen.
So ruderte denn José den Joao Covinna zum Westufer herüber,
von wo nach 1 ½ Leguas Menschen zu erreichen sein sollen, die helfen können.
Es ist ein wunderbar schöner, sonniger Tag. Die Wärme quält
uns nicht hier am Fluß, das besorgen dafür Moscitos und Stechfliegen.
Aber da ich gern in dieser schönen Landschaft am einsamen
Salto weile, bin ich über den unfreiwilligen Aufenthalt nicht böse.
Der Tibagy stürzt hier über eine 200 Meter lange und 50 m
breite Diabasmauer 12 Meter hoch ab. Am Ostufer, der Monte Alegre–Seite, steht
dichter Urwald, die Höhen im Westen nimmt Camp oder lichter Araucarienwald ein.
Der Fluß oberhalb des Falles kommt in einer Volte von Nord,
unterhalb fließt er westwärts ab.
Wie es dröhnt im Tal. Hier übertönt kein Tierlaut das
Wasser.
Sonnenlicht auf sprühendem Schaum, und tiefes Dröhnen, sind
die wesentlichen Eindrücke. Doch sahen wir große Fischottern und Tapire (Antas)
oberhalb des Falles.
14. August 1926, Lager, Abends
Weit sind wir nicht gekommen heute, aber den Salto grande
haben wir überwunden. Joao brachte um 3 Uhr drei Männer, die uns halfen. Wir
kappten junge Bäume und bereiteten, damit einen primitiven Rollweg für den Kanu
über die wirren Felsblöcke. Die Arbeit nahm eine Stunde in Anspruch, bis wir
das Kanu unterhalb des Saltos hatten.
Um 4 ½ Uhr konnten wir wieder abstoßen. Kurz unterhalb des
Salto grande verengt sich das Flußbett bis auf 50 u. 30 m. und der Strom zieht
zwischen senkrechten Felswänden dahin.
Echt tropisch, mit den wirren Lianen u. den vielen Farnen
wirkte der Wald am Steilhang des Ostufers.
Wir mußten noch einmal das Boot ausladen und eine Cachoeira
überwinden, dann fuhren wir auf ruhigen, tiefen Wasser stromab.
Es wurde ganz ruhig um uns. Ich konnte so recht die
Schönheit und Wunderlichkeit der Fahrt geniessen, daran hinderte mich auch
nicht das Arbeiten mit Uhr u. Kompass u. Barometer.
Aber Capivaras hemmten schließlich unsere Fahrt. Der
Jagdeifer ging mit meinen Kameraden durch und um 5:25h mußte ich
wieder Stopp notieren.
Vor uns im Strom tauchte mit kurzen Unterbrechungen der Kopf
eines Capivarzs, jenes braunen Wasserschweins auf.
Beim dritten Mal kamen José und ich gleichzeitig zum Schuß.
Das Tier zeichnete durch wildes Plätschern und sank dann
unter.
Auf einer nahen Landzunge schlugen wir unser Lager Nr. 3
auf, um unsere Beute in Sicherheit zu bringen.
Mit dem leeren Boot und dem Winchester fuhr Joao noch ein
Stück stromab, da er dort Antas gesehen hatte.
Als Zelt und Bett mit Moskitonetz fertig waren, sprang ich
ins frische Wasser und schwam[m] ein Stück in den abendlichen Strom hinein.
Nun ist es Nacht. Unsagbar friedlich u. ruhig. Aus weiter
Ferne nur tönt wie seltsames Rauschen das Brausen der letzten Cachoeira
herüber.
Im schwarzen ruhigen Strom spiegeln sich Sterne und Neumond.
Man hört wieder Cicaden und dann und wann geheimnisvolles Plätschern im Strom
oder ein leises Brechen im Wald.
Wir hocken friedlich um unser kleines Feuerchen. Während ich
schreibe erzählt Joao seine Abenteuer auf Diamantsuche. Dann und wann lausche
ich und frage etwas.
Dann glühen die Augen meiner Kameraden im Wiederschein des
Feuers und der Blick scheint seltsam wild.
15. August 1926, Sonntag, Morgens
Diese Nacht mit ihrer großen Stille kam uns unheimlich vor.
Durch das Getöse der Saltos waren wir der großen Ruhe entwöhnt. Einige mal
wachte ich Nachts auf und lauschte in die große Stille. Dann hörte man
geheimnisvolle Tierlaute oder Plätschern im Strom, wenn eine Otter oder ein
Capivarc den Fluß querte.
Als wir uns früh erhoben, stand die blasse Scheibe der Sonne
schon im Nebel.
Joaos Silhouette hatte ich bereits lange in der Zeltöffnung
hocken und Kaffee trinken sehen. Jedesmal wenn es plätscherte im Strom sah ich
wie er den Kopf hob und lauschte.
Der beste Kamerad ist José. Er ist immer fröhlich. Nie
mißmutig und bei der anstrengendsten Arbeit findet er ein frohes Wort. Wenn er
Abends unter seine Decken kriecht, gibt er Freudentöne von sich wie ein Kind.
Er hatte Kopfschmerzen heute früh, aber als ich ihm Asperin [sic !] anbot,
meinte er: Nachher Senhor, vor dem schlafen gehen. Er fand seine gute Laune
denn auch bald wieder.
Joao ist auch ein gutmütiger und williger Mensch, etwas
langsam und bedächtig in allen Bewegungen. Aber ihm fehlt der freundliche Zug
im Gesicht. Er muß sehr vor Alkohol gehütet werden, sonst betrinkt er sich
mörderisch.
Seine Gesichtszüge sind vom Alkohol verwüstet, dadurch wirkt
auch der Ausdruck seiner Augen so wild.
An unserem heutigen Lagerplatz liegen mächtige
Konglomeratbänke von etwa 10 m Mächtigkeit. Nach oben zu gehen sie in den
Tibagysandstein über. Das Geröll besteht aus ganz kleinen Rollkieseln bis zu
mehr als kopfgroßen Blöcken.
Ich halte es für ein Stück des Permkonglomerats. Die etwa
zwanzig Meter breite Bank streicht quer zum Fluß. Liegendes und Hangendes ist
Sandstein.
15. August 1926, Barreirinho, Nachmittags
Der heutige Tag hat uns gut vorangebracht. Eine reizvolle
Fahrt liegt hinter uns.
Kurz nach der Abfahrt vom Nachtlager konnte ich an einer
Steilwand des Flusses deutlich die Lagerung des Konglomerats zwischen den
gestörten Sandsteinen beobachten.
Aufgehalten wurden wir nur an der „Cachoeira grande“ wo wir
zwei Mal Aus- und Einladen mußten.
Der heute zurückgelegte Flußteil zeigte uns sehr viel Wild.
Zwei Mal konnten wir auf Capivarca Jagd machen. Ein Tier erlegte ich durch
Kopfschuß mit meiner Mauserpistole.
Hinter der Cachoeira grande begegnete uns ein Canu mit
Jägern mit Hunden.
Wundervoll wurde das Landschaftsbild durch all die kleinen Nebenflüsse des Tibagy, die
in Hängetälern mit leuchtenden Cascaden zum Hauptfluss abstürzten. Die leuchtenden
Schaummassen in dem dunklen Waldgrund boten ein überaus reizvolles Bild.
Gegen Mittag waren wir zwischen den Inseln an der Barro da
Mortandade, wo rauschende Cachoeiren durch wirre Klippenmassen das Tal
erfüllten.
Kurz oberhalb Mortandado hatten wir auf einer kleinen Insel
unser Mittagessen bereitet. Dabei sah uns ein Schwarm Affen von den Bäumen des
Ostufers zu.
Oft passierten wir eine Cachoeira, wo José oder Joao ihre
Erinnerungen erzählten. Jeder Flußwinkel barg ein Erlebnis. Hier ist ein Schwarzer
ertrunken beim Jagen, dort ein Bahianer beim Diamantsuchen. An jener Klippe
wurde ich vom Jaguar überrascht, oder hier habe ich vor zwei Jahren eine Anta
geschossen.
Kurz wir kamen in das heimatliche Flußstück meiner
Kameraden. Vom letzten Rastplatz bis Barreirinho brauchten wir nur 1 Stunde.
José und Joao hatten vorher gewettet. Der eine behauptete, wir hätten noch 3
Stunden Fahrt, der eine zwei Stunden. Sie behielten beide nicht recht. [Eingefügt: durch Gewehrschüsse meldeten wir uns an]
Tagsüber war es nie recht sonnig. Jetzt gegen Abend ist es
sogar etwas trübe.
Aber die Flußlandschaft bleibt wundervoll majestätisch.
Als wir den Rancho am Fluß bei Barreirinho erreichten und
uns gerade etwas umgekleidet hatten, kamen aus dem Wald von Monte Alegre Ovidio
und ein Soldat unserer Station mit ihren Hunden. Sie hatten Paccas gejagt und
brachten ein Tierchen lebend.
Als sie bereits bei uns waren, heulte drüben im Wald noch
einer der Hunde.
Er mußte schließlich den Strom durchschwimmen was er nach
jammervollem Heulen auch versuchte. Auf einer Klippe mitten im Strom kam er
erschöpft an und klagte nochmals zu uns herüber. Seine Gefährten saßen am Ufer
und äugten unter unruhigen Bewegungen nach ihrem Kameraden.
Später hat er sich doch noch entschließen müssen, auch das
weitere Stromstück zu bezwingen. Jedenfalls sah ich den Hund vorhin erschöpft
vor dem Hause liegen. Geholt hat ihn niemand.
Nach den wundervollen einsamen Tagen am Fluß will es mir
hier unter den stumpfsinnigen Menschen garnicht recht behaglich werden.
Ich fühle mich allein und wünsche, der Rasttag wäre schon
vorbei. Ich bin recht verbrannt von der Sonne und fühle am ganzen Körper, wie
wohl mir die Anstrengungen der Reise, das Sonnenlicht und all die tausend
schönen Landschaftsbilder tun.
Es gibt doch zweierlei Einsamkeit. Am Herzen der Natur da
draußen ist man nie so verlassen, wie unter fremden, gleichgültigen, nun gar
stumpfsinnigen Menschen.
Da draußen am Strom und im Wald ist es doch ein wirkliches
Einsam-Sein.
16. August 1926, Barreirinho
Der Morgen brachte trübes Wetter und es sah nach Regen aus.
Wenngleich die Sonne tagsüber nicht zum Durchbruch kam hielt sich doch das
Wetter noch trocken.
José und Joao ließen sich den ganzen Tag nicht sehen.
Ich selbst blieb auch in der Hütte und berechnete das
Itenear der vergangenen Tage. Einmal ging ich auf die Höhen bei Barreirinho um
einen Beobachtungspunkt zu erkunden. Aber der Wald auf den Höhen verhinderte
jeden Fernblick.
Hoffentlich klappt morgen die Abreise.
An so einem Rasttag habe ich das Gefühl, etwas zu versäumen.
Aus der Itenearberechnung ergab sich das wir von den 4 Tagen Reise eigentlich
nur 9 ½ Stunden reine Fahrzeit auf dem Fluß hatten. Alle andere Zeit
beanspruchten die Überwindungen der Saltos und Cachoeiren.
Der Tag ist nun im Verdämmern. Der Fluß rauscht leise unten
im Tal. Ganz still steht der Wald.
Irgendwo höre ich das Sprechen der Soldaten dieser Station,
die ihr Dasein hier mit wirklichem Nichtstun verbringen.
Der Leutnant drückte laute Zweifel aus, ob ich die Flußfahrt
durchführen würde, und wies auf die Gefahren durch wilde Indianer am unteren
Tibagy hin.
Ich werde die Fahrt doch durchführen.
17. August 1926, Barra da Imbahusinho, 2 Uhr Mittags
Schwere Wolken kommen auf, und ich befürchte Regen. Nur
einzelne Sonnenflecke liegen hier und da auf Wald und Strom.
Eine Cachoeira braust neben uns. Wir selbst sitzen im
Schatten der Bäume und warten, warten schon über eine Stunde auf den Mann, der
den Imbahusinho herabkommen wollte, um uns ein leichteres Cedernkanu zu
verkaufen.
Stechfliegen und Moscitos quälen uns. Aber dennoch ist eine
märchenhaft schöne Stimmung rings um unseren Rastplatz.
Wir verließen Barreirinho kurz nach 11 Uhr. Diesmal mit
einem neuen Gefährten, einen Hund. Die Fahrt war träumerisch schön zwischen den
dunklen schweren Walskulisssen. Wir
hatten einige Cachoeiren zu überwinden, aber hier kannten meine Kameraden jeden
Stein und es ging ohne viel Aufenthalt.
Einigemal sahen wir die [gestrichen: verlassenen] Grasdächer
verlassener kleiner Ranchos zwischen dem Blätterdickicht, die früher die
Garimpeiros bewohnt hatten, als sie noch frei Diamanten fischen konnten im
Strom.
Der Urwald wird immer düsterer und die Araucarie beherrscht
nur noch die Höhen der Uferberge.
José und Joao sitzen auf den dunklen Diabasblöcken der
Cachoeira und kochen Kaffee. Ich hänge nun die Beine ins Wasser um die vielen
Stichwunden zu kühlen.
Wie es rauscht und braust und wie der Wind singt zwischen
den Bäumen.
Eine [sic !] Mann mit Gewehr und Buschmesser erscheint oben
im Ufergebüsch und ruft. Er trägt einen großen schwarzen Hut und ein
Taschentuch nach Art der Cowboys um den Hals und sieht auch sonst ganz wild
aus. Er begrüßt uns und teilt uns mit, daß es mindestens einen Tag in Anspruch
nehmen würde, das gewünschte Boot den Imbaharinho herabzubringen. Aber wir
verzichten.
Schwere dunkle Cumulus mit leuchtenden weißen Rändern
schweben oben im Raum, das Licht ist fahl. Im Süden liegt bereits ein
Nimbusschleier. „Prompto“ schreit José. Nun so mag es weitergehen.
17. August 1926, Abends
Auf einer Insel, die malerisch als Sandsteinriff aus den
Cachoeiren unterhalb der Barra Arroio Grande herausragt, haben wir das Zelt
aufgeschlagen.
Es ist noch früh, 5 Uhr. Schwere düstere Wolken ziehen über
uns hinweg und wir zogen vor, rechtzeitig unser Nachtlager aufzuschlagen, um
uns ein trockenes Plätzchen zu sichern.
Ein wundervolles, weites Flußtal. Etwa 500 m weitet sich der
Fluß in einem Bogen. Dahinter rechts, links vor uns dunkle Waldberge. Der Strom
rauscht machtvoll.
Ein herrlicher Weg liegt hinter uns. Unterhalb Barra
Imbahusinho fuhren wir in eine feierliche Waldlandschaft hinein.
Der Strom war ruhig u. tief. José zeigte uns eine alte
Grashütte in märchenhaftem Waldwinkel, wo er früher als Garimpeiro gehaust
hatte.
Dann malerische Inseln Stromschnellen in buntem Wechsel. An
einer Cachoeira fanden wir ein umgestürztes Boot, das völlig heil war. Wir
brachten es auf eine Insel in Sicherheit, um es später zu holen.
Um 4h erreichten wir die Arroio Grande, die
still aus dunklem Waldgrund in den Strom mündet.
José steuerte unser Kanu in den Bach hinein. Es war ein
märchenhafter Weg durch verschlungenes Walddickicht. Der Bach war 5 - 6 m breit
und ½ m tief. Langsam schoben wir uns durch traumhaft [gestr.: märchenhaft]
schönen Winkel. Grünes Dämmerlicht umgab uns, und ein unentwirrbares Dickicht
von Lianen Arten, Zweigen und [?].
Kurz unterhalb eines kleinen Wasserfalls mußten wir Halt
machen. Hier lagen zwei Kanus, von denen wir uns eins wählen sollten. Doch wir
fanden nur verwahrloste Einbäume, gegen die unser großes Kanu ein stolzes Fahrzeug
war.
In einem ganz heimlichen Waldwinkel sah ich plötzlich die
Arbeitsstelle eines Garimpeiros. [Bateia ?],
Sieb und Spaten lagen da. Das war überraschend. Hier in dieser Einsamkeit lag
also jemand, dem Diamantdiebstahl ob, denn die Minenrechte gehörten ja unserer
Compagnie. Arglos hatte der Diamantwäscher alles Handwerkszeug liegen lassen,
da er in diesem abgelegenen Waldwinkel niemals Menschen, geschweige denn eine
Polizei-Patrouille erwartete.
Ich ordnete an, die Sachen fortzunehmen. Wir konnten sie gut
gebrauchen und dem heimlichen Räuber machte ich damit vorerst die Weiterarbeit
unmöglich.
Dann fuhren wir den märchenhaften stillen Wasserweg zurück.
Unterhalb sahen wir
dann im Strom einige Inseln liegen, von denen wir diese als Lager aussuchten. Es
war gut so, denn der Himmel ist düster schwarz inzwischen geworden.
Dumpfer Donner rollt fern über den Wäldern.
Sonst liegt eine unheimliche Ruhe über der Flußlandschaft,
in der das Brausen der Cachoeira die Herrschaft hat.
Joao bereitet das Abendessen vor dem Zelt und José flickt
Zeug.
Mir selbst brennen die Füße von Ameisenbissen. Beim
einrammen der Zeltpflöcke erwischte José einen Ameisenhaufen und die ganze
Gesellschaft fiel im Nu über uns her. Wir gossen aber die gefährliche Stelle
mit kochendem Wasser ab., und siegten damit vorläufig. Aber die großen
brennenden Blasen haben wir weg.
Die Nacht wird von Blitzen hell. Es donnert und einige
schwere Tropfen fallen auf das Zelt.
Kein Tier ruft im Wald. Es ist eine unheimliche Nacht. Der
Schein der Blitze schimmert blau durch unser Zeltdach und wird von der breiten
Stromfläche in die Nacht zurückgespiegelt.
Unser Kanu liegt einsam am Strand und der Hund am Feuer. Das
Licht der Kerze, die Grete Neussel mir
schenkte, flackert im Winde, läßt große Stearintropfen auf den schönen,
schwarzen Holzleuchter fließen.
Es rauscht und braust draußen in der Welt. Wir fühlen uns
seltsam geborgen im Zelt.
18. August 1926
Nachts prasselte schwerer Regen aufs Zelt, und ich war im
Zweifel ob das Leinwandtuch uns auf längere Dauer vor dem Unwetter schützen
würde.
Der Hund kroch winselt [sic!] zu uns herein. Das Feuer
draußen verlöschte und nur blaue Blitze zerrissen die Dunkelheit. Wir lagen
wach im Zelt und lauschten dem Unwetter.
Als das Gewitter nachließ, schliefen wir vom gleichmäßigen
Rauschen des Regens und des Stromes ein.
Nun ist es wieder Tag, sehr früh. Die Sonne ist noch nicht
heraus und der Flußnebel bildet sich jetzt erst.
Erst lagen die Dunstwolken hier und da über den Waldrändern,
jetzt ziehen sie sich zusammen und nehmen das ganze Flußtal ein.
Joao erhob sich als Erster und bereitete Kaffee, den er José
und mir ins Zelt trug.
Ich sagte, er sei die Mutter der Expedition, was große
Heiterkeit bei José und Joao hervorrief, aber Joao sehr stolz machte. Er
erzählte dann von seiner Familie.
Er hat Mutter und Schwester und eine Tante zu ernähren. Als
ich fragte, „Warum heiratest Du nicht ?“ antwortete er: Non posso, Senhor !
Soll ich noch mehr Menschen ins Haus bekommen und Mütter, Tanten und
Schwägerinnen ernähren ? Ich bin arm, Herr ! „ Ja, aber die Frauen können doch
auch arbeiten, sagte ich. In allen Ländern muß heute die Frau arbeiten, das
Leben ist schwer.
Er machte eine bekümmerte Miene und sagte: Sim, Senhor, ich
sah bei den Kolonisten die Frauen arbeiten, aber unsere Frauen arbeiten nicht.
Aber die Kolonisten lebten bald gut.
„Bei den Kolonisten müssen sogar die Kinder arbeiten, rief
José, mit besonderem Erstaunen. Ich sah auf der Kolonie Briancas mit der
Enchada.
Ich sagte ganz rücksichtslos: Hier im Wald sind alle
Menschen arm, weil sie zu faul geworden sind zur Arbeit, sie könnten gut leben.
Jetzt wo keine Garimpo mehr ist, arbeiten sie nichts mehr. Worauf Joao
pflichtgemäß oder gewohnheitsgemäß antwortete: „Aäh, sim, Senhor ! Dabei nickte
er eine gedankenvolle Zeit mit dem Kopf.
Es ist auch unglaublich, was sich die Menschen hier an
Faulheit leisten. Sie sind so stumpfsinnig und bedürfnislos geworden, daß nicht
einmal die Armut sie zur Arbeit antreibt.
In Campinas wohnen einige Leute – der Platz verdient
garnicht den Namen einer Ortschaft – die alle sehr arm sind und von der Hand in
den Mund lebten. Als ich einmal frug, ob ihre Roca denn keine Erträge brächte,
erfuhr ich, daß keiner eine Roca angelegt hatte.
Dabei wohnten die Menschen teilweise länger als ein
Jahrzehnt, dreizehn Jahre dort.
Sie könnten Mate sammeln im Wald, aber sie tun nichts, als
den Tag vorübergehen lassen. Vielleicht stehlen sie ein Stück Vieh irgendwo,
fischen im Strom, oder erlegen mal ein Stück Wild.
Mit Revolvern, Messern und verrosteten Flinten ist natürlich
jeder ausgerüstet.
Der brasilianische Waldbewohner verdient auf keinen Fall den
Namen Bauer. Meist ist er Intruso auf den Gebieten der Großgrundbesitzer.
Diese wohnen in den Städten und kennen ihr Land nur von weitem und benutzen es
als Spekulationsobjekt.
Der Intruso wird alle Jahre durch eine besondere Expedition
vertrieben. Ist diese fort, setzt er sich wieder auf seinen Platz.
Wird er nicht vertrieben, so könnte er im Verlauf längerer
Zeit Eigentumsrecht an seinen Wohnplatz erwerben. So ist das Vertreiben der
sogenannten „Eindringlinge“ die einzige Arbeit des Grundbesitzers. Produktive
Arbeit leistet niemand, der Besitzer und der Eindringling nicht.
Arbeitet aber wirklich einmal ein Waldbewohner, so treibt er
schlimmsten Raubbau. Der Wald wird abgeschlagen, die Roca gebrannt und dann
pflanzt man ein, zwei oder auch drei Mal und läßt dann den Platz liegen um ein
neues Stück Wald niederzuschlagen. Die Ernte ist so müheloser und es bedarf
keiner Bodenkultur.
Der Wald und die Einsamkeit aber bleiben Herr.
18. August 1926, Mittags
In der Früh hatte ich Arbeit, die Mattscheibe meines großen
Photoapparates zu reparieren.
Wir kamen erst um 10 Uhr in Fahrt und hatten einige
Cachoeiren zu überwinden, ehe wir an die Arroio Predra grossa kamen. Wir
hielten auf die Barre zu, als wir angerufen wurden.
Ein Mann aus Campinas erwartete uns dort, der mit José zu
verhandeln hatte. Hier ist eine besonders gute Fundstelle für Diamanten. Ich
ließ auch Proben auf Gold waschen, sie zeigten wenig Resultat.
Die Cachoeiren unterhalb der Barra Viera Panella machten
einige Arbeit.
Erst gegen 1 Uhr machten wir auf einem malerischen
Sandsteinriff Mittagsrast.
Hier wurden wir von einer Schar [gestrichen: großen Zahl] großer Frösche mit lautem Gequake
begrüßt. Die Tiere waren 20 – 25 cm lang, schwarzgrün und gelb gestreift. Wir
erwischten einige, um sie anzusehen. Sie waren dermaßen eklig, mit großen
Wülsten an beiden Seiten des Kopfes, daß wir sie frei ließen.
Nirgends bin ich so von Stechfliegen gequält worden wie an
diesem idyllischen Platz. Ich bin fürchterlich zerstochen.
Der Platz, an dem wir rasten, heißt „Estreita“ weil der Fluß
sich nach großer Breite plötzlich auf 60 – 70 m verengt.
Schwere Cumulus schweben über dem Flußtal. Die Sonne ist
geradezu stechend. Es wird wohl wieder ein Gewitter geben.
18. August 1926, Abends
Das Gewitter kam nicht, trotzdem schwere dunkle Wolken eine
Zeitlang über uns schwebten. Der Nachmittag war recht anstrengend.
Vor allem die Cachoeira de Fachina machte uns viel Arbeit, das
beladene Boot unversehrt zu Tal zu bringen.
Da in den Stromschnellen Klippen genug und das Wasser nicht
sehr tief ist, springt man ins Wasser und hält das Boot an den Seiten fest.
Hinten wird es an einem Tau versichert und dann sucht man eben von Meter zu
Meter den günstigsten Weg, um das Kanu zu Tal zu bringen. Man sucht absichtlich
Stellen, an denen man das Boot über Steine schieben muß, damit es von der
reißenden Strömung nicht fortgerissen wird.
Man stößt sich die Beine wund, fällt auch mal in ein tieferes
Loch, aber die Hauptsache ist das Kanu, Proviant u. Instrumente, unversehrt zu
Tal kommen.
Bis jetzt ist das auch immer nach reichlicher Mühe gut
gegangen.
[gestr.: zwischen] Hinter der Cachoeira hatten wir
Gelegenheit zur Jagd auf Enten und Capivaras. Die Jagd auf Capivara war recht
aufregend. Erst sahen wir drei Tiere aus dem Wasser kommend das östl. Ufer
erklimmen.
Ein Stück stromab stürzten sie sich aber wieder ins Wasser
und schwammen auf das Westufer zu, das war eine günstige Jagdgelegenheit.
Wir nahmen unsere Schießeisen zurecht, José einen
vorsintflutlichen Vorderlader, Joao eine Winchester und ich eine Mauserpistole
mit Anschlagkolben. Meine Kameraden ruderten mit Eifer.
Die Tiere tauchen geschickt unter und schwimmen ein größeres
Stück unter Wasser. Es ist immer ein Raten, wo die Tiere wieder auftauchen, und
das stachelt den Jagdeifer - durch die
gezwungene Aufmerksamkeit besonders an.
Joao mit seinem Winchester, kam zuerst zum Schuß. Das Tier
zeichnete und schnellte aus dem Wasser. Dann war es verschwunden.
Eifrig wird das Westufer abgespäht und das Kanu in eiligste
Bewegung gesetzt.
Das [eingefügt: angeschossene] Tier schlug uns jedoch ein
Schnippchen und schwamm unter Wasser dem Ostufer zu. Kurz vorher tauchte es
noch einmal auf, und wurde von mir gesichtet. Sofort ging das hastige Pullen
nach jener Richtung los. Als das Tier zum zweiten Mal auftauchte, kamen José
und ich zugleich zum Schuß.
Josés Vorderlader ließ einen ganzen Schwarm von Wassersäulen
aufspritzen.
Ich [gestrichen: hatte dem] war mit meiner Mauser auf den
Hinterkopf abgekommen und das Tier sank sofort unter.
[gestrichen: Wieviel] Diese [eingefügt: Fluß] Jagden lassen
sich schlecht mit meiner Aufnahme vereinbaren, denn wir verlieren immer sehr
viel Zeit [eingefügt: damit], das erlegte Tier aufzufischen.
Erst nach etwa einer Stunde treiben die Gase das Tier hoch
und dann geht die Fahrt weiter.
Wir überwinden noch den Wasserfall oberhalb Aparado und
kommen gerade an den großen Salto, als das letzte Tageslicht blutrot auf Wald
und Wasser fällt.
Unser Boot bleibt oberhalb des Falles und wir schleppen das
Gepäck auf schwierigem Weg nach unten und schlagen direkt am Fluß, unterhalb
des Falles unter schönen Coco romanzoffiana unser Zelt-Lager Nr. 6 auf.
Diese Nacht ist märchenhaft schön und es ist unmöglich alle
Wunder zu schildern.
Der Mond steht im Zenit zwischen fahl weißen Cumulus. Sein
Licht fällt voll auf den schäumenden Gischtstreifen des Wasserfalles.
Der Salto Asparado ist etwa 250 – 300 m breit und stürzt
senkrecht sieben Meter, aber hoch genug, um bei der Wassermasse des Tibagy ein
rollendes Getöse zu erzeugen und kleine Wasserwolken aufsteigen zu lassen.
Bizarre, groteske Baumsilhouetten stehen vor dem mondhellen
Himmel. Es ist ein Flimmern und Leuchten im Wasser, wie von Miriaden von
Leuchtkäfern.
Wir sitzen um unser Feuer vor dem Zelteingang und starren in
die Wundernacht.
Eine [sic !] alter Mann, der Walddoktor, der nahe am Salto
Aperado wohnt, hat unser Feuer gesehen und kam uns besuchen.
Er trägt einen silbernen Dolch und eine lange, zweiläufige,
Vorderladerpistole im Gürtel, spricht sehr bedächtig und gütig und saugt
zwischendurch an einer feinen, langen Pfeife.
Er macht uns Komplimente zur Fahrt und erklärt uns den Fluß
soweit er ihn kennt.
Vom Lager Nr. 5 – bis hier haben wir ein völlig neues
Flußstück aufgenommen, das auf keiner Karte dargestellt ist. Ein neues
unbekanntes Stück folgt. Morgen. Der Fluß ist nun nicht mehr ungefährlich; wir
sind in die Malariazone gekommen, was in Anbetracht der vielen Moskitos und
Stechfliegen recht unangenehm ist.
Aber diese unendlich schöne Nacht verscheucht alle Bedenken.
Joao Pereira, der alte Medizinmann, erzählt weiter, langsam
und bedächtig, Sein grauer Vollbart schimmert, wie das Wasser, im Mondenlicht.
Ich lausche seinen Waldmärchen, lausche dem Brausen des
Stromes und kann nicht satt werden an der Märchennacht.
19. August 1926
Seit unserem Erwachen [eingefügt: früh] ist noch kein
Sonnenstrahl erschienen. Im Flußtal war kein Nebel, dafür hängt eine graue
regenschwangere Decke oben am Himmel.
José ist flußauf gegangen um die Jagdbeute von gestern
Nachmittag zu holen, Joao will versuchen Menschen zu treffen, die uns helfen
können, das Kanu über den Salto zu bringen. Ich selbst habe ein geologisches
Profil über den Wasserfall aufgenommen.
Nun sitze ich an den glühenden Holzstämmen unseres Feuers,
und warte auf Klärung des Wetters, da ich einen Punkt beobachten will von der
Höhe zwischen der großen Volte Salto Asparado/ Salto Alemao.
Nachts wachte ich doch einigemal auf von dem Dröhnen des
Wasserfalles. Das Dumpfe schwere Rollen zwang mich zu lauschen und ich schlief
schwer wieder ein darüber. Mein einziger Gesellschafter ist „Flamme“ der Hund,
der dem Kochtopf gegenüber liegt und schläft.
19. August 1926, Mittags
Wir haben das schwere Kanu die Diabasmauern nicht
hinunterschaffen können, dafür aber ein schönes, leichtes Cedernkanu in Obhut
des Walddoktors gefunden.
Der Besitzer wohnt einige Leguas weit ab vom Strom und muß
erst durch Boten herangeholt werden. Dadurch verlieren wir einen vollen Tag.
Es ist ein klarer heißer Sonnentag geworden. Die Sonne
prallt grell ins Tal. Ich war oben auf der Höhe die den Tibagy oberhalb Salto
Aparado und unterhalb Salto allemao mit nur ein Kilometer Distanz trennt.
Nach einem gewaltigen Bogen von 15 km kommt der Fluß dem
Ausgang der Volte auf so geringe Entfernung wieder nah, sodaß er eine fast
geschlossene große Elipse bildet.
Auf einem [gestrichen: Punkt] Rücken, etwa 120 m über dem
Fluß gelegen [eingefügte Worte unleserlich] konnte ich einen trigonometrischen
Punkt festlegen. Dadurch wird die Lage dieser großen Volte kartographisch
sicher festgelegt.
Da ich nicht wußte, wie der Tag verlief, habe ich schon
früh, zwei Photogr. Aufnahmen vom Salto und Lagerplatz gemacht. Jetzt ärgere
ich mich darüber, denn das Licht ist wundervoll.
Aber bei der beschränkten Plattenzahl kann ich keine
Doppelaufnahmen wagen. Hoffentlich sind die Frühaufnahmen nicht zu kurz
belichtet.
Entsetzlich [sic !] quälen die kleinen Stechfliegen, die
Borachuden, in der Mittagszeit
19. August 1926, Später Nachmittag
Wieder bin ich ganz allein im Lager. José ist nach Lageado
bonito, um die Bezahlung des Kanus zu regeln. Joao treibt sich irgendwo in der
Gegend herum um Baumharz zu sammeln, womit er die Risse der Kanoas beschmieren
will, um sie so zu dichten.
Zu Mittag hatte ich heute Huhn mit jungen Kartoffeln, der
alte Medizinmann hatte Kartoffeln gepflanzt er nannte sie Batatas uruguayana“
Ich habe mir gleich noch zwei Hühner gekauft und einige Kilo Kartoffeln. Damit
habe ich eine äußerst seltene Gelegenheit gefunden, meinen Mundvorrat
aufzubessern.
Gern verzichtete ich auf den Capivarabraten, den José
servierte, der über Nacht im Wasser aufgedunsene Leib sah für mich wenig
appetitlich aus.
Es tut jede Abwechslung in der Nahrung so gut. Joao u. José
essen jeden Tag dreimal schwarze Bohnen und Reis mit Farinha. Ich habe diese
Kost jetzt seit Wochen gegessen und habe sie derart über, daß ich mit
besonderem Appetitreiz dem Gedanken an Kartoffeln u. Hühnerbraten pflege.
Überhaupt bin ich froh, mich gut mit Konserven und Brot
eingedeckt zu haben.
Es gibt am ganzen Fluß keine Gelegenheit, den Proviant
aufzufüllen, es sei denn durch Zufall, wie hier.
Joao und José laden mich jedesmal höflich zum essen ein. Ich
tue dasselbe und jeder weiß im Voraus, daß dankend abgelehnt wird. Aber
Höflichkeit muß gewahrt werden. Nur eine Tasse Kaffee nehme ich aus
Freundschaft regelmäßig an. Auch das ist so Sitte.
Im schönen Nachmittagslicht nahm ich ein erfrischendes Bad
im Strom. Ich mußte dringend die vielen Insektenstiche kühlen. Widerlicher als
die Moscitos sind tagsüber die Stechfliegen vor allen die kleine Borachude, die
einem soviel [sic !] Blut absaugt, daß jedesmal ein Tröpfchen nachquillt, wenn
die Fliege abgeschwirrt ist. Der Stich bildet dann eine weiße Blase mit rotem Punkt
in der Mitte. Die Blase sondert beim Ausdrücken eine hellgelbe Flüssigkeit ab
und juckt tagelang.
Nun geht der Tag wieder zu Ende. Rotes Spätlicht fällt ins
Tal. Seltsam schöne dunkelgrüne und violette lichter erscheinen an den dunklen
Stellen des Wasserfalles. Es braust und dröhnt ununterbrochen.
Im Gegensatz dazu die unbeschreibliche Ruhe über den
Wäldern.
20. August 1926
Durch das fröhliche Rufen Josés erwachte ich. Joao saß vor
dem Zelt am Feuer und pfiff leise vor sich hin. „He, Covinna“ schrie er, was
pfeifst du für traurige Lieder, siehst du nickt den Nebel, der Tag wird gut !“
Er hatte recht. Draußen lag wieder dichter Flußnebel, was
einen sonnenklaren Tag garantierte. Wir kommen und los heute von hier. José hat
gestern den Kauf des neuen Kanus noch geregelt und kam im hellen Mondschein
Nachts zurück.
Es war wieder eine unbeschreiblich schöne Nacht am Fluß.
Jetzt geht es nun auf die herrlichen Mondnächte zu. Der alte Walddoktor kam
wieder und leistete uns Gesellschaft am Feuer.
José und Joao spielten Karten, wobei das lebhaft frohe
Temperament Josés so recht zum Ausbruch kam. Er lachte und brüllte aus vollem
Halse. Ob er verlor oder gewann, war ihm gleich. Der Grund zur Heiterkeit lag
ihm im Gang des Spieles.
Als er heute früh erwachte ging das Lachen u. Wortgeplänkel
mit dem etwas langsamen und schwerfälligen Joao Covinna wieder los. Dann sprach
er mit Hund, Nebel, Bäumen und Wildenten in frohester Laune.
„He du !“ ihr Marecas geht aus dem Bereich meiner Flinte,
sonst muß ich euch schießen“ Und beim Nebel bedankte er sich für den schönen
Tag, der kommen würde.
José ist ein unbezahlter Reisegefährte, wie man ihn verdammt
selten in Brasilien findet, denn er leistet auch jede Arbeit mit der gleichen
Fröhlichkeit seines Wesens. Wenn er sich bei der Arbeit im Fluß mal die Beine
wund schlägt oder in ein Strudelloch fällt, dann entfährt ihm wohl ein Ruf der
Überraschung, aber gleich darauf lacht er wieder aus vollem Halse, und ergeht
sich in Erörterungen, was alles hätte werden können und wie gut alles geworden ist.
José ist keineswegs ein Narr, sondern ein begnadetes,
herzensfrohes Naturkind.
Meine besondere Freundschaft sucht auch Lavareida – die
Flamme – unser Hund. Bei jeder erdenklichen Gelegenheit tut er mir seine
Freundschaft kund und Nachts liegt er nicht mehr am Feuer, sondern schmiegt
sich an das Fußende meines Lagers.
In dieser liebearmen Welt tut doch auch die Freundschaft
eines Tieres wohl. Dabei ist Lavareida ein ganz gewöhnlicher Köter, der wohl
auch recht wenig Freundschaft in seinem Leben gefunden hat.
Meine Leute haben ihn von Barreirinho mitgenommen, weil er
bekannt ist, sich nicht vor Jaguaren zu fürchten.
20. August 1926, Salto Alemao
Der Flußnebel hat doch keinen sonnigen Tag gekündet. Wohl kam die Sonne Vormittags heraus, aber gegen Mittag zogen sich düstere, schwarze
Wolken zusammen.
Wir hatten am Salto Alemao gerade das Kanu entladen, um das
Gepäck in einen Rancho zu tragen, als es plötzlich loswetterte. Rollender
Donner und schwere prasselnde Regenmassen. Die Welt verlor sich in einem grauen
Nichts.
So werden wir wiederum festgehalten, trotzdem ich auf der
Ilha dos Cavallos übernachten wollte.
Wir haben zwei Stunden vom Salto Allemao bis hier gebraucht,
davon geht eine Stunde ab, die wir in den Walddickichten an der Arroia do [Lico ?] verbracht haben. Wir hatten unterhalb des
Salto Aparado nur eine Cachoeira zu passieren, wo das Boot verlassen werden
mußte. Einmal sahen wir einen neuen Rancho im Wald, auf der Monte Alegre Seite.
Als wir die Arroio de [Lico oder Gico ?] erreichten,
fuhren wir vorsichtig mit dem Kanu in den Bach hinein zwischen dunkle, wirre
Waldkulissen.
Große Fische schossen aus dem Bach blitzschnell dem Tibagy
zu. Das Wasser war ganz klar, trotzdem es schwarz aussah. Es war etwa ½ m tief.
Eine unheimliche Stille umgab uns auf dieser Fahrt. Lautlos glitt unser Kanu
vorwärts. Nach einer halben Stunde versperrten umgestürzte Bäume den Weg. Ich
stieg aus, und stieß im Moment auf eine frische Jaguar Spur. Da ich aber im
Bach Sand und Geröll fand, packten wir unsere Waschgeräte aus und betätigten
uns als Garimpeiros. Wir fanden wunderschönes Blättchengold und ich nahm mir
vor, die Gegend weiter oberhalb auf dem Landwege aufzusuchen.
Ich machte eine Aufnahme, dann fuhren wir zurück. Wir kamen
an großen Inseln im Tibagy vorbei. Ich konnte auch Steinkohlenproben abschlagen
und dann bogen wir von Nord nach Süd auf den Salto Allemao zu.
Der Rancho, in dem wir auf unserer letzten Expedition die
Nacht verbracht hatten, besteht nur noch aus einem Dach, alles andere Holz ist
abgebrochen u. gestohlen.
So hocken wir denn unter diesem Gestell und schauen auf die
regengrauen, triefenden Wälder.
Trotzdem es wenig gemütlich ist, fühlt man sich doch
geborgen. Auch hier am Salto sahen wir einige Ranchos und Rocen am Ufer lang.
Es wohnen zwei oder drei Familien in dieser Gegend.
Heute nachmittag wollen wir nun unser Kanu über den
Wasserfall bringen und dann Morgen bis Cactoeirao reisen.
21. August 1926
Düster und Regengrau kommt der Tag herauf die Wälder
dampfen.
Ohne Aufhören regnete es die Nacht durch. Die Blitze die
aufeinanderfolgten waren so grell, daß ich mir die Augen zudecken mußte, um
einschlafen zu können. Das Rollen des Donners, das Getöse de [sic !] Saltos und
das Rauschen des niederfallenden Regens bildeten ein Chaos von Tönen. Wir
wurden glücklicherweise nicht sehr nass unser Holzdach schützte uns besser als
ein Zelt. Aber es war eine unheimliche und grenzenlos einsame Nacht.
Nun ist es ringsum ungemütlich, Grau, naß, kalt. Der Regen
rieselt noch fein hernieder. Aber von Blättern und Zweigen tropft es ununterbrochen.
Der Rauch unseres Holzfeuers bleibt unterm Schutzdach schweben und erfüllt die
Umgebung mit seltsamen Geruch, den ich liebe, denn er weckt Erinnerungen an die
Lagerfeuer Afrikas oder an ländliche Dielen in der Heimat.
Es geht nun auf Mittag zu. Immer ist die düstere Schwere und
der Regen über den Wäldern noch nicht gewichen. Ich habe mich aber doch
entschlossen abzureisen, um bis nach der Ilha dos Cavalhos zu kommen. Am 23.8.
erwarte ich am Salto Mana, in Palmita meine Reit- und Packtiere um auf dem
Landweg zurückzureisen.
Das Anhalten des trüben Wetters würde mir einen dicken
Strich durch meine Pläne machen, da es unmöglich sein wird, die notwendigen
astronomischen und trigonometrischen Beobachtungen unterwegs auszuführen.
Vorhin hatten wir noch liebenswürdigen Besuch. Trotz des
Regens kam eine ganze Anzahl grün und blau schillernder Kolibris angeschwirrt
und standen lange Zeit vor den unscheinbaren Blüten einiger Büsche um uns. Wenn
ich sagte standen, so ist das wirklich so, die winzig kleinen unendlich schönen
und zierlichen Tiere schwirren vor den Blüten wie Insekten und stehen dabei auf
einem Fleck. Sie führen dann den langen feinen Schnabel in die Blüte, ohne die
Blume sonst zu berühre oder auch nur in Bewegung zu setzen. „Beiza Flor“ nenne
darum die Brasilianer die Vögel das bedeutet: künstliche Blume. Hinter dem blau
schillernden Köpfen trugen alle Tierchen ein schmales, rotweißes Band.
|